Grundfläche: ca. 5,5 x 5,0 x 5,0 cm; Höhe: ca. 1,5 cm / Das annähernd dreieckige Objekt hat eine nahezu glatte Oberseite, unregelmäßige Abbruchkanten und eine uneben profilierte Unterseite. Es besteht aus einem Lehmputz, der mit Pferdehaar und Stroh durchsetzt ist, wovon insbesondere letzteres an den Abbruchkanten aus der Lehmfassung heraussteht. Die Oberseite trägt eine z.T. rissige braune Farbfassung mit breitem blauen Mittelstreifen und weist weiße Sprenkelungen auf. Die Unterseite ist im grauen Naturton des Lehms gehalten und weist einige braune Einschlüsse auf. Das Stück war Teil der Stuck-Innenauskleidung einer Nische, in der die große der beiden Buddha-Statuen im Bamiyan-Tal (Afghanistan) bis zu ihrer Zerstörung 2001 stand.
Geschichte: Lehmputz
Die Ente wurde langsamer und schnappte nach Luft. Noch ein paar Meter kroch sie den steilen Pass hinauf, dann war nichts mehr zu machen, beim besten Willen nicht. Die staubige Straße lag in erbarmungsloser Steigung vor ihr und machte ein Weiterkommen unmöglich. Doch das Ziel lag klar vor Augen. Wenn also die 16 Pferdestärken des Döschewo in der sandigen Bergwüste an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit stießen, musste eben mit Muskelkraft nachgeholfen werden. Zwei schwerbepackte Dromedare zogen gemächlich bergab vorbei, ohne von dem westfälischen Kennzeichen weiter Notiz zu nehmen. Zu normal war das Bild wohl inzwischen geworden in Afghanistan, im Sommer 1970.
Das Gefährt hatte die Gruppe in den vergangenen Wochen bereits von West-Berlin bis nach Kabul geführt, wobei man ab Herat bewusst einen Umweg über Kandahar in Kauf genommen hatte, um nicht schon auf der bergigen Direktverbindung in die afghanische Hauptstadt immer wieder schieben zu müssen. Doch jetzt ging es nicht anders, denn das Bamiyan-Tal war von Kabul aus nur über eine steile Gebirgsstraße zu erreichen. Mit vereinten Kräften gelang es jedoch, den Pass Meter für Meter zu überwinden, um anschließend umso eleganter ins Tal hinunterzurasseln. Sie hatten ihr Ziel erreicht: Das Bamiyan-Tal mit seiner grünen Ebene, den zerklüfteten Felswänden und den beiden weltberühmten Buddha-Statuen lag vor ihnen. Die überlebensgroßen Figuren, die zwar keine Gesichter mehr hatten und auch sonst stark verstümmelt waren, aber immer noch aufrecht und erhaben aus ihren schützenden Felsnischen über das Tal wachten, zogen die Aufmerksamkeit sofort an sich. Vor der größeren hielt man an. Ehrfürchtig fielen die Autotüren in ihre Schlösser und während die Blicke über den riesenhaften steinernen Körper glitten, ließ die Frage, wie viele Generationen von Menschen hier bereits gestanden haben, den Reisenden einen wohlig-kalten Schauer über den Rücken laufen. Und so geschah es dann auch nicht ohne ein gewisses Demutsgefühl, dass man voller Neugier weiter auf die Statue zuschritt, um zu der Aussicht zu gelangen, die auf der Hinfahrt in gespannter Erwartung immer wieder Thema gewesen war. Denn die buddhistischen Erbauer hatten im 6. und 7. Jahrhundert zahlreiche Gänge, Treppen und Kammern in der Felswand angelegt, die bis auf die Köpfe der Statuen hinaufführten. Das Auto durfte sich dann auch endlich eine Verschnaufpause gönnen, während die Gruppe im durchhöhlten Massiv verschwand.
Die dunklen Treppengänge wanden sich durch den Fels aufwärts und ließen die Neugierigen schließlich auf den Scheitel der Statue hinaustreten. Hier, mehr als 50 Meter über dem Boden, fanden sie den Lohn für die strapaziöse Hinfahrt. In luftiger Höhe, kühl geschützt unter der Nischendecke und die Ente spielzeughaft klein zu ihren Füßen, ließ es sich ebenso erhaben und selig ins grüne Tal herabsehen, wie es der Buddha wohl einst selbst getan hat, als er noch ein Gesicht hatte.
Im Umdrehen dann, als es wieder hinuntergehen sollte, nahm man noch ein Stück bemalten Lehmputzes mit, das aus der brüchigen Innenauskleidung der Nische herausgefallen war. Die Erinnerung an den Blick über Bamiyan hatte für die Gruppe eine feste Form bekommen. Plastischer und ausdrucksstärker als jedes Foto.
Das wurde unten dann aber doch noch gemacht. Die Qualität von Kamera und Film war zwar nicht die beste, aber das spielte keine Rolle. Die größere Statue, wie vorne auf dem Reiseführer, nur diesmal in Farbe. Wir waren hier. Vielleicht würde man irgendwann nochmal wiederkommen, mit einem besseren Auto und einer besseren Kamera. Doch nun lag schon das nächste Ziel der Reise vor Augen: Pakistan.
Die Buddha-Statuen im Bamiyan-Tal wurden 2001 von den Taliban gesprengt. Vom Lehmputz in den Nischen blieb kaum etwas übrig. Das rotstichige Foto sollte das einzige bleiben.